Jean Claude Bourgueil
Mein Kaiserswerth
Irgendwie doch ein wenig wie an der Loire
(Jean-Claude Bourgueil -- Auszug)
Seit über 25 Jahren lebe ich in dem kleinen Städtchen, wobei ich ganz bewusst dieses Wort verwende, obwohl Kaiserswerth 1929 von Düsseldorf eingemeindet wurde und seitdem nur ein Stadtteil ist.
Wenn ich über die Kopfsteinpflaster-Straße gehe, vorbei an herrlichen alten Fassaden, dann fühle ich mich um zwei-, dreihundert Jahre zurückversetzt – und auch nach Frankreich, wo es noch viele intakte alte Städte gibt. Ich stamme aus dem Loire-Tal, das durch die Schlösser der französischen Könige berühmt ist. Und Kaiserswerth ist ebenfalls von großen Herrschern geprägt, am stärksten wohl von Friedrich I., besser bekannt als Barbarossa, der Rotbart, der 1174 den Rheinzoll hierher verlegte und die Pfalz als kaiserliches Bollwerk und Zierde seines Reiches ausbaute.
Ein halbes Jahrtausend lang galt sie als „ein Wunderwerk der Stärke und Schönheit“ und ist erst 1702 während des Spanischen Erbfolgekrieges gesprengt worden. Die Ruine diente den Kaiserwerthern lange als Steinbruch, denn nur vier Häuser hatten die wochenlange Belagerung überstanden. Eins davon ist das alte Zollhaus von 1635, das dem „Schiffchen“ gegenüber liegt. Auf der Hofseite steht noch der Turm, von dem aus die Zöllner die Schiffe auf dem Rhein kontrollierten – eine ideale Lage, denn die Schiffe wurden stromaufwärts getreidelt, also von Pferden gezogen, und der Weg führte direkt am Zollhaus vorbei. Sie konnten erst weiterfahren, wenn der Zoll entrichtet ist. Neben Barbarossa haben zwei weitere große Männer die Stadt zu überregionaler Bedeutung aufsteigen lassen. Der erste war der angelsächsische Missionar Suitbertus, der das „Werth“ die Insel im Strom, zu einem Brückenkopf der Mission ausbaute. Er errichtete die erste Kirche und ein Kloster. Über seinem Grab wurden vom 11. bis zum 13. Jahrhundert der mächtige Dom erbaut, der zu den schönsten niederrheinischen Pfeilerbasiliken gehört. Kostbarer Besitz der Kirche ist der vergoldete, mit Edelsteinen besetzte Schrein mit den Gebeinen des Hl. Suitbertus aus dem 13./14. Jahrhundert. Der Stiftsplatz rings um die Kirche wird in den Städteführern als „einer der reizvollsten Winkel in Düsseldorf und städtebaulich einer der schönsten Plätze am Niederrhein“ beschrieben.
Der dritte Mann, der Kaiserswerth berühmt machte, war Theodor Fliedner, der 1822 als evangelischer Pastor in das verarmte Städtchen kam und dort als Gründer der Diakonissenanstalt am Markt ein Werk der Nächstenliebe errichtete, das in die ganze Welt ausstrahlen sollte. An Fliedner beeindruckt mich besonders der praktische Sinn und die geniale Verknüpfung zweier Pobleme: Er kämpfte gegen die Not der Kranken, Waisen, Armen, Gefangenen – und er bot den unverheirateten Frauen die Möglichkeit, einen anerkannten Beruf zu erlernen. Sogar Florence Nightingale war Schülerin in seinem Krankenhaus.
Ich fühle mich längst als Kaiserswerther.
Zwar sieht die Düsseldorfer Stadtverwaltung ihren nördlichen Stadtteil gerne als etwas provinziell an, aber immerhin hat die ehemalige Kaiserstadt eine fast 1300-jährige Geschichte vorzuweisen, ist also älter als Düsseldorf und so müsste eigentlich die jetzige Landeshauptstadt den Namen Kaiserswerth tragen – eine Überlegung, die vielleicht meinem „französischen Chauvinismus“ entspringt, der sich in den beiden letzten Jahrzehnten eben Kaiserswerth zugewandt hat ....